Tarifa/Spanien – Tanger/Marokko

Tanger, Marokko, ein Tor zwischen Europa und Afrika, das den meisten Afrikanern jedoch verschlossen ist. Tanger besitzt einen zwielichtigen Ruf. Auch, wenn selbst im Land die Marokkaner vor ihren Landsleuten warnen, mache ich von Anfang an positive Erfahrungen. Das soll sich bis zum Schluss nicht ändern. Ich lerne die Marokkaner überwiegend als sehr freundlich und gastfreundlich kennen. An lächelnd grüßenden und Beifall bekundenden Menschen besteht kein Mangel. In keinem Land wurde ich so oft zu einem Tee oder Kaffee eingeladen, zwei Mal zu einer Übernachtung. So macht eben jeder seine eigenen Erfahrungen, und genau darum geht es bei dieser Reise. Das Glück des Optimisten ist sowieso auf meiner Seite.
Schwierig gestaltet sich manchmal die Suche einer Übernachtung in Hotels, wo man scheinbar lieber unter Seinesgleichen bleibt, und man muss sich damit abfinden, dass Preise etwas Dynamisches sind.
Einzig das Wetter empfängt mich unfreundlich – täglich Regen. Neben der Straße steht das Wasser. Es geht durch eine grüne, weitestgehend baumlose Landschaft. Die Sahara ist ein gutes Stück entfernt.

Von Tanger fahre ich eine Rundtour durch die 4 sogenannten Königsstädte, Städte, die zu irgendeiner Zeit Hauptstadt waren und entsprechend einen Aufstieg erfahren haben. Das sind Rabat, Marrakech, Meknes und Fes. Zusätzlich besuche ich Casablanca. Neben den Prachtbauten, vor allem Mosscheen, Koranschulen, Stadttore, ist in diesen Städten die Medina, die Altstadt, ein Erlebnis. Umgeben von einer Stadtmauer bestehen sie aus einem Labyrinth aus Gassen und Gässchen. Darin befinden sich die Souks, die Märkte und Handwerksviertel, seit jeher nach Gewerben sortiert, wobei in den bevorzugten Lagen heutzutage Kunstgewerbe an Touristen verkauft wird. Ein lebendiges Gewimmel mit mehr oder weniger aufdringlichen Händlern, wo sich durch dichteste Menschenmassen Eselkarren und Fahrräder zwängen und hupend die Mopeds rasen. Es erfordert einiges an Konzentration, dort das Quartier wiederzufinden.

Casablanca. Schon 16km bevor ich es erreiche, erblicke ich das Wahrzeichen der Stadt, das die Küstenebene weit überragt. Es ist die Hassan-II.-Moschee, deren Minarett mit 210m Höhe das höchste religiöse Bauwerk darstellt. Mit Platz für 25000 Gläubige ist es die zweitgrößte Moschee der Welt. Die größte Moschee der Welt steht in Mekka, aber während Nichtmuslime zu ganz Mekka keinen Zutritt haben, ist die Hassan-II.-Moschee die einzige Moschee in Marokko, die von ihnen betreten werden darf – gegen ein ordentliches Endgeld versteht sich.

Auf der nächsten Etappe verbringe ich die Nacht in einer Polizeistation. Mit den Polizisten ziehe ich abends eine Runde durchs Dorf während das Rad in der Polizeistation parkt. Da fühlt man sich sicher. Neben dem Funkgerät vor dem Bild des Präsidenten schlafe ich komfortabler, als in den meisten Billigabsteigen.
Nicht nur an diesem Abend diskutiere ich, soweit sprachliche Barrieren es zulassen, über Religion. Man kann nicht nachvollziehen, wie ich ohne an einen Gott zu glauben nicht orientierungslos durchs Leben stolpere, ein Bild von der Welt habe und Werte. Dabei gibt es Schriften, die eindeutig die Existenz von Alah belegen, argumentieren die Einheimischen. Immerhin kann man mit den Leuten darüber reden. Marokko ist ein durchaus westlich orientiertes, muslimisches Land. Augenscheinlich ist der Unterschied zu den am Anfang der Reise kennen gelernten, arabischen Ländern bezüglich der Rolle der Frau. Diese scheinen hier freier. Lange nicht alle tragen ein Kopftuch, die wenigsten sind verschleiert.

Der Straßenverkehr bietet unterhaltsame Abwechslung beim Radfahren. Wie viele Familienmitglieder passen auf ein Motorrad? Wie viele Menschen können außen an einem Kleinbus hängen? Wie weit in alle Richtungen überstehend kann man einen LKW beladen? Könnte man nicht auf einem hoch beladenen LKW oben eine Art Dachterrasse bauen, auf der Kühe stehen? Alles ist möglich.

Marrakech, „Die Perle des Südens“ vor dem Hintergrund schneebedeckter 4000er des Atlasgebirges. Die Exotik, die mir der Name Marrakech suggeriert, findet sich auf dem Djemaa el Fna, dem „Platz der Geköpften“. Einen vergleichbaren Platz habe ich noch nicht gesehen. Dort tummeln sich Schlangenbeschwörer, Geschichtenerzähler, Musiker, Akrobaten, Affen, Obststände, Essstände, Hennatattoowiererinnen, aufwändig gekleidete Wasserverkäufer. Vieles zielt darauf ab, den zahlreichen Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen, hauptsächlich soll man fürs Fotografieren bezahlen. Sobald man irgendwo stehen bleibt, ist der Sammelhut an einem. Sobald man die Kamera herausholt, ist man bedrängt, als hätte man sich gegen die Hütchenspielermafia gestellt. Aber der Platz zieht auch viele Einheimische an die Essstände, zu den Gauklern und sie umlagern die berühmten Geschichtenerzähler, die sicher nicht wegen der in der Regel nicht Arabisch sprechenden Touristen hier sind. Wenn die Sonne untergeht, steigt eine Rauch- und Dampfwolke der Garküchen über dem Platz auf, die orientalischen Musikinstrumente verbreiten einen fremdländischen Klang. Wenn dann der Chor der Muezzine einstimmt, ist eine einzigartige Atmosphäre, ein Erlebnis für Auge, Ohr und Nase hergestellt (siehe und höre auch „Gebetsruf in Marrakech/Marokko : Audio„). Nicht umsonst ist dieser Platz in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen als „Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Menschheitserbes“.
Der Djemaa el Fna ist so faszinierend, wie unangenehm. Wie schon oft gibt es auch in Marokko eine große Diskrepanz zwischen so einem Touristenmagneten mit seinem Kommerz und dem angenehmen, ganz anderen Rest des Landes. Einmal mehr freue ich mich über den Vorteil des Radreisens, dass man einen Querschnitt des Landes auch zwischen den zu Sehenswürdigkeiten ernannten Orten bekommt.

Zum Abendessen in Marrakech gibt es als Vorspeise eine Schale Schnecken, als Nachtisch eine Tüte Datteln. Ein paar Mal esse ich Tajine – Gemüse und Fleisch werden auf Holzkohle in einem Tongefäß mit kegligem Deckel gegart. Nicht alle kulinarischen Experimente verlaufen erfolgreich, aber ich habe mir nirgendwo den Magen verdorben – Alhamdoulah, Gott/Alah sei Dank.

In Meknes ein weiteres Spektakel – El Khiyala oder Fantasia, Reiterspiele. Auf einem großen Sandplatz vor der alten Stadtmauer hat sich eine 3-stellige Zahl an schmuckvollen Reitern versammelt, ausgestattet mit langen, altmodischen Pulvergewehren. Die Reiter gruppieren sich immer wieder in Staffeln zu etwa einem Dutzend nebeneinander, reiten in gestrecktem Galopp über den Platz, wobei sie ihre Flinte schwenken und schreien. Am Ende des Platzes, vor den Zuschauern dort zum Greifen nahe, stoppen sie ihre Pferde hart ab und feuern in die Luft. Applaus gibt es, wenn es möglichst synchron, laut knallt, wie bei einem Kanonenschlag, dass man davor sitzend die Druckwelle spürt.

Fes. In dieser Stadt gibt es die angebliche größte Gerberei und Färberei Nordafrikas. Von den umliegenden Dächern bietet sich ein faszinierendes Bild – farbig und doch abstoßend. Auf einem Hof befinden sich viele Betonbecken mit Flüssigkeiten in verschiedener Farbe. In diesen Becken stehen die Arbeiter ohne jegliche Schutzkleidung und ziehen Tierhäute durch die Brühe. Auf den umliegenden Dächern trocknet Wolle und Leder. Ein abstoßendes Bild, weil ich mir in einer anderen Gerberei das Ganze aus der Nähe ansehen und riechen konnte.

Entlang der Ausläufer des Rif-Gebirges werde ich von einem Bauern zu einer Übernachtung eingeladen. Mohammed baut Cannabis an, wie so viele hier (Cannabis-Anbau ist im Norden Marokkos ein wichtiger Wirtschaftszweig und ernährt viel Bauern und ihre Familien.). Am nächsten Morgen bekomme ich die Verarbeitung der Pflanzen vorgeführt.
Jeder raucht hier Haschisch oder Marihuana, das hier Kiff heißt, erklärt man mir in einem Café ein älterer Herr. Er holt aus einem Lederetui seine teilbare Kiff-Pfeife heraus, und wenn ich mich an den Nachbartischen umsehe, scheint das zu stimmen. In keinem Land zuvor wurde mir so viel Rauchwerk angeboten. Polizeikontrollen passiert man angeblich gegen einen Obolus.

Viel erlebt habe ich in 2,5 Wochen in Marokko. Ich bin sehr zufrieden, diesen Umweg gemacht zu haben. Es hat sich gelohnt.

Tanger ist sowohl Ausgangs- als auch Endpunkt in Marokko. Per Fährschiff geht es ins spanische Barcelona.

Tom

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19. März 2009 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

2 Responses to “Tarifa/Spanien – Tanger/Marokko”

  1. 1 Denise 20 März 2009 @ 8:35

    Hallo Tom,
    ich weiß, dass Du auch mal Kritik hören willst zu Deinem Post, hier also einige Sätze. Das ist einer der besten Texte, die Du geschrieben hast, und die Bilder sind alle phantastisch. Der Gebetsruf hat mich nach Indien zurückversetzt, und ich liebe dieses Konzert, bin dennoch froh, es nicht 5x in Berlin zu haben.
    Viel Spaß noch auf der weiteren Strecke.
    Wir sehen uns bald.
    Denise

  2. 2 Stefan 5 April 2009 @ 22:26

    Hallo Tom,

    Ich kann mich nur anschließen; ein faszinierender Bericht…..
    Kritik habe ich als „Heimschläfer“ keine :-)

    Komm gut heim!
    Stefan

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