Huánuco/Peru – Cusco/Peru

Nach der Abfahrt ist vor der Auffahrt. Es geht rauf in „Die höchste Stadt der Welt“ – Cerro de Pasco, 4348m ü. NHN, Jahresdurchschnittstemperatur 4,2°C. Nach Litang in China schon die zweite „Höchste Stadt der Welt“ auf dieser Radreise.

Über eine Hochebene geht es nach La Oroya. Obwohl der Ort infolge des Bergbaus als stark kontaminiert gilt – die Stadt wurde zu einem der zehn am stärksten verschmutzten Orte der Welt gewählt – heißt es Luftholen für die vorübergehend letzte hohe Hürde, den Abra Anticona, 4818m ü. NHN.

Anschließend die vielleicht längste Abfahrt der Welt. Es geht vom Pass an die Küste – ca. 150km immer bergab. Im oberen Teil stürzt sich die Straße beeindruckend in eine Schlucht. Die Straße scheint sich in verschiedenen Ebenen mehrfach selbst zu kreuzen, wie in einem 3D-Labyrinth. Die Wände werden steiler und höher, bis nur noch ein schmales Stück Asphalt und ein kleines Flüsschen hindurchpassen. Für uns nur Momenteindrücke, denn es geht runter, runter, runter.

Nach dieser Strecke der Superlative erreichen wir den Stadtrand von Lima. Eigentlich wollen wir die peruanische Hauptstadt so gut es geht umfahren, was nur bedingt gelingt, gilt sie doch als weniger sehenswert und etwas gefährlich. Auch wenn solche Warnungen nicht immer ernst zu nehmen sind, wir wollen uns den Großstadtstress ersparen.
Wir sind auf der Panamericana. Mit dem nahezu verkehrslosen Radeln in abgelegenen Bergregionen ist es endgültig vorbei. Als bis zu 7-spurige Straße führt die Panamericana durch das Stadtgebiet von Lima.
Wir passieren Siedlungen, deren Baustil so typisch ist vielerorts auf der Welt. Stahlbetonskelett mit Ziegeln ausgefacht, alles unverputzt. Die Gebäude sind oben offen, d.h. das „Dach“ bildet die Decke des letzten Stockwerkes, darauf ein paar halbe Wände, die Stahlarmierungen ragen oben heraus. So sieht immer alles aus wie Rohbau, wären die Dächer der Gebäude nicht völlig zugemüllt mit Baumaterial und Gerümpel. So sieht es eher aus, wie eine erdbebenzerstörte Stadt, denken Denise und ich.
Nur wenig später sehen wir, wie eine erdbebenzerstörte Stadt tatsächlich aussieht. Wir sind in Pisco. Im August 2007 gab es hier ein sehr starkes Erdbeben. Pisco wurde zu 80% zerstört, vor allem die historischen Kolonialbauten. Nun, 11 Monate später, gibt es mehr Lücken zwischen den Häusern, als Häuser selbst, die Straßen sind aufgebuddelt, die Kirche ist ein Holzgerüst mit Bastmatten als Wände. Ein erschreckendes Bild.
Nahe Pisco besuchen wir die Islas Ballestas. Unmassen an Seevögeln bevölkern diese Inseln, z. Bsp. Pinguine. Früher wurde der als Dünger verwendete Vogelkot Guano hier abgebaut, heute sind sie Teil eines Nationalparks, in dem wir neben den Vögeln auch Seelöwen und Delphine sehen.
Wir kommen etwas höher und verlassen die sog. Garúa, den Küstennebel – immer bedeckter Himmel, nicht mal 20°C, ungemütlich. Jetzt sieht die Wüste aus, wie man es von einer Wüste erwartet, nämlich mit sengender Sonne.
Nächste touristische Sehenswürdigkeit ist Nazca mit den berühmten Nazca-Linien, bis zu 20km lange Linien und Linienbilder mit einer Größe bis zu mehreren hundert Metern nur in den Wüstenboden gescharrt und manche trotzdem seit 2800 Jahren erhalten, Funktion noch immer ungeklärt.
In der Nähe von Nazca besuchen wir den vorspanischen Friedhof von Chauchilla. Die Toten wurden in hockender Stellung in Textilien verschnürt und sind teilweise gut erhalten. So sieht man bei vielen noch die Haare.

Nach der Abfahrt ist vor der Auffahrt. Wenige Tage nachdem wir von über 4800m ü. NHN hinunter gefahren sind, geht es nun wieder auf 4700m ü. NHN hinauf, die ersten 100km bzw. 2 Tage ununterbrochen bergauf. Klingt nach unsinniger Streckenplanung, wir bekommen so aber einen größeren Querschnitt von Peru zu sehen. Erneut durchradeln wir alle Landschaftsformen (außer den Dschungel östlich der Anden) – Wüste mit und ohne Steine, mit und ohne Kakteen, grünere, landwirtschaftlich genutzte Täler, karge Hochebenen mit schneebedeckten Bergen und weidenden Alpakas, Lamas und Vicuñas und mit Chinchillas. Nicht vielerorts auf der Welt dürfte man innerhalb weniger Tage von den Pinguinen zu den Papageien radeln, die in den Tälern lärmend über Papayabäume fliegen und dazwischen, dort wo man es am wenigsten erwartet, Flamingos sehen (Andenflamingos, die in der Höhe leben und offensichtlich recht kälteresistent sind).

„Ich kann nicht schlafen. Da draußen ist irgendwas.“, weckt mich Denise. Pflichtbewusst schaue ich aus dem Zelt in Erwartung nichts zu finden, vielleicht ein Tier. Doch direkt am Zelt und neben unseren Rädern steht ein Typ. Ich brülle ihn an, um ihn zu erschrecken und in die Flucht zu schlagen. Das gelingt. Eine der Packtaschen am Fahrrad ist offen, also renne ich sofort hinterher. Er ist auf flinken Füßen unterwegs, ich auf nackten. Nach wenigen Meter verliere ich den Räuber in der Dunkelheit. Offensichtlich hatte er erst versucht, die Packtasche abzunehmen – eine Sache von einem Handgriff, wenn man das System kennt. Dann hat er sich scheinbar schwer getan, den Verschluss zu öffnen. Letztlich raubt er uns „nur“ den Schlaf. Wir bleiben wach, starren in die Dunkelheit, leuchten gelegentlich mit der Lampe, um den Dieb wissen zu lassen, dass wir wach sind. Bisher nicht sehr clever vorgehend, dürfte er wissen, dass er selten eine Gelegenheit hat, Radtouristen auszunehmen.

Nach der Stadt Abancay eine 2000-Höhenmeter-Abfahrt, die ich endlich wieder genießen kann. In den letzten Tagen war ich wie auf rohen Eiern unterwegs. Meine Hinterradfelge ist gebrochen nach mehr als 30000km auf denen sie auch als Bremsfläche in den hohen Gebirgen dieser Erde herhalten musste. Ersatz ist nicht leicht zu beschaffen. 363km fahre ich mit gebrochener Felge. Der Reifen rutscht teilweise hinunter, der Schlauch liegt frei. Mit allen Tricks versuche ich dafür zu sorgen, dass dieses unförmige Etwas, das einmal mein Hinterrad war, noch durch den Rahmen rotiert – Rad schief einbauen, eine gegenläufige Acht ins Rad ziehen, Schutzblech verschieben, Bremse demontieren. Abermals gelingt es, alles was möglich ist aus eigener Kraft, auf eigenem Rad zurückzulegen. Ich erstehe eine Felge, die von den Maßen und der Speichenanzahl nicht ins Rad passt, aber die Implantation verläuft erfolgreich.

Jetzt sind wir in Cusco, ehemals Inka-Metropole, nun ein Ort, verstopft von Touristen.
Weiter geht es Richtung Titicacasee und Bolivien.

Tom

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12. August 2008 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

2 Responses to “Huánuco/Peru – Cusco/Peru”

  1. 1 Nadine & Oliver & Charlize 20 August 2008 @ 22:09

    Hi Denise&Tom,

    in der Region wäre ich wohl mit meiner Kettensäge ganz schön aufgeschmissen. Vielleicht als Waffe zu gebrauchen. Hut ab, hast den Dieb ja ganz schön Beine gemacht, garantiert auch, weil Du doppelt so groß bist wie er vermutlich.
    Wie…363km mit gebrochener Felge? in den Bergen geht das? dann noch Bremse abbauen – Du bist ein zäher Hund
    Ich erinnere mich an viele Dinge, wenn ich Deinen Bericht lese, war ja vor etlichen Jahren auch in Peru und habe die Straßen von Cusco verstopft. Hab dort Basketball gespielt und war nach 20 min. nicht mehr zu gebrauchen, wegen der Höhe aber Ihr seid ja jetzt bestens trainiert. Passt bloss auf das Ihr nicht wegen Doping verhaftet werdet.
    Uns geht es gut, Hamburg weigert sich noch ein wenig meine Kunst anzunehmen aber irgendwann klappt das schon, wenn Du das schaffst eine falsche Felge anzubauen, wird es hier nach etwas Zeit auch mit meiner Kunst klappen.
    Ganz liebe Grüße aus Hamburg

  2. 2 Aron 23 August 2008 @ 22:46

    *seufz* La Oroya… tolle Stadt, tolle Mine… ich vermute mal ihr hattet nicht viel Gelegenheit euch da mal ein bisserl umzuschauen :) die Minenanlage ist wirklich schick und man kann so allerlei nettes an Steinchen finden.

    Viele Grüße aus dem verregneten Hamburg!

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