Kangding/China – Xi’an/China

Etliche interessante Begegnungen gab es in Tibet. Deshalb noch ein kleiner Nachtrag zum letzten Reiseabschnitt.
Dreimal treffe ich Pilgergruppen auf dem Weg nach Lhasa, die Unglaubliches vollbringen. Als wenn es nicht genug wäre, viele hundert Kilometer zu Fuß unterwegs zu sein, legen sie sich alle 3 Schritte flach, langgestreckt auf die Erde – die bereits beschriebene, sog. Niederwerfung. Als mechanischen Schutz haben sie Holzbrettchen an den Händen, eine Lederschürze vor dem Körper und Schuhkappen aus Autoreifen. Die körperliche Belastung wird dadurch nicht geringer. All die Pässe und Pistenabschnitte, die ich mit dem Rad hinter mir habe, liegen noch vor ihnen. Das muss noch Monate dauern. Wahnsinn! Einer in der Gruppe transportiert auf einem Handwagen das Gepäck. Soweit ich beobachten kann, werden die Pilger durch die lokale Bevölkerung durch kleine Lebensmittelgeschenke versorgt.
In Tibet treffe ich auch das bisher kurioseste Radfahrpaar. Sie und er auf einem Normalrad – er tritt, sie sitzt quer auf der Stange, hinten drauf ein großer Berg Gepäck. Nicht so ungewöhnlich, wenn es nicht noch einige hundert Kilometer bis Lhasa wären.

Weiter ab Kangding. Hier ändern sich Land und Leute. Es erscheint mir als Grenzregion zwischen tibetischer und chinesischer Kultur. Ein letzter höherer Pass, ein 4176m langer Tunnel, in dem ich mich zusammen mit 60 entgegenkommenden, ohrenbetäubenden Militär-LKW befinde, hinunter durch eine enge Schlucht mit Bambuswald und das tibetische Hochland ist durchquert. Ich glaube, bis Japan steht nun nichts mehr im Weg. Oft fühle ich mich, als wäre ich so gut wie am Ziel. Dabei ist es noch ein Stück und erfahrungsgemäß ziehen sich die „letzten“ Kilometer.

Die unendlichen Abfahrtskilometer, teils bei schlechtem Wetter und schlammiger Strecke, haben vor allem meinen Felgenbremsen und Felgen stark zugesetzt. Die Bremsklötze schleifen so schnell ab, dass ich in einer Abfahrt mehrfach die Bremsen justieren muss. Mit nur noch einer halb funktionierenden Bremse versuche ich, sicher ins Tal zu kommen. Irgendwann ist die Flanke so dünn geschliffen, dass sie an mehreren Stellen bricht. Erstaunlich, dass ich immer noch fahren kann, wenn auch langsamer bei reduziertem Luftdruck und ohne Vorderbremse. Ersatz aufzutreiben ist nicht ganz leicht, und es trifft sich vorzüglich, dass ich in der Stadt Mianyang einen chinesischen Radfahrer wiedertreffen möchte – Meng Bing, dem ich nahe Lhasa begegnet war genau vor einem Monat. Er ist ein richtiger Rad-freak, arbeitet in einem Fahrradladen, hat einen Radclub gegründet, fährt Mountainbikerennen. Beim Fragen nach dem Weg auf der Suche nach Meng Bings Radshop mischt sich die Polizei ein. Ich soll folgen. So geht’s mit Blaulicht-Polizeieskorte (bzw. hier Rotlicht) durch die Stadt bis zum Laden.
2 Nächte bleibe ich. Wir tauschen einige Teile am Rad und bauen ein neues Vorderrad. Ich wohne eine Nacht in einer Art Fahrradclub-Clubhaus mit Musikanlage und deutschen Fahrradzeitschriften. Da hätte ich gut noch einen Tag alleine sein können. Ständig werde ich zu sehr leckerem Essen eingeladen und kommen Menschen, um mich und mein Rad zu sehen. Hier auch meine bisher größte Pressekonferenz – ein Fernsehsender, eine Radiostation, eine Zeitung gleichzeitig. Am nächsten Tag noch ein Zeitungsinterview. Die Fernsehleute filmen mich beim Essen, und eine Frage lautet, wo ich gelernt hätte, mit Stäbchen zu essen. In der Zeitung werde ich als „deutscher Forrest Gump“ bezeichnet – !?.
Eine Gruppe des Radclubs bringt mich die ersten Kilometer aus der Stadt auf den weiteren Weg.

Auch wenn es Menschen gibt, die Englisch sprechen, gibt es weiterhin Verständigungsschwierigkeiten. Ich bemühe mich, ein paar chinesische Worte zu lernen. Diese ändern sich aber mindestens in der Aussprache in verschiedenen Regionen, und etwas falsch ausgesprochen, versteht mich niemand mehr. Oft habe ich jedoch den Eindruck, man gibt sich keinerlei Mühe mich zu verstehen.
Zunächst kann es passieren, dass angesprochene Leute gleich weglaufen – vielleicht ein Überbleibsel aus Zeiten, wo der Kontakt zu Ausländern Unannehmlichkeiten mit der Staatsmacht mit sich bringen konnte.
Oft ist meine Geduld stark strapaziert, wenn Worte, die ich schon so oft benutzt habe nicht funktionieren, ich Zeichnungen mache oder Pantomime und dabei von Leuten umringt bin die sich von Anfang an auf den Standpunkt stellen, dass sie sowieso nichts verstehen und sich untereinander über dieses Nichtverstehen amüsieren und lachen, während sie mich ignorieren. Irgendwann kommt jemand, der meinem Gehör nach wiederholt, was ich gesagt habe, alle wiederholen und freuen sich. Auf einmal alles sonnenklar.
Jetzt ist die Herausforderung eine verwertbare Antwort zu bekommen – Beispiele: Ich frage einen Polizisten an einer Kreuzung nach dem Weg. Am Ende unseres kurzen Wortwechsels hat er mir 3 verschiedene Richtungen genannt. An einer Weggabelung erfrage ich die Richtung. Weil ich auf dieser Reise dazugelernt habe, frage ich sicherheitshalber 3 Leute. Dann habe ich 3 verschiedene Auskünfte – links, rechts und die Richtung, aus der ich komme.
Immer wieder muss ich feststellen, das die Menschen schwierig zu bewegen sind, ihre Hände zu benutzen. Wenn ich einen Ort nenne, wieso kann man nicht einfach in eine Richtung zeigen? Nicht nur ein Mal dauert es noch etwas ein Ziel zu erreichen, das in Sichtweite ist. Wenn die Antwort eine Zahl ist, wieso benutzt niemand seine Finger zum Zeigen, selbst nachdem ich mit den Fingern vorgezählt habe und meinem Gegenüber signalisiere, er soll mir die Antwort einfach mit den Händen zeigen? Dabei gibt es hier ein sehr patentes System von Handzeichen, das es z. Bsp. ermöglicht, die Ziffern mit einer Hand darzustellen. Habe ich endlich die Antwort, mache ich das entsprechende Handzeichen. Ja genau, freuen sich wieder alle.
Typisch ist auch, dass auf meinen in Chinesisch vorgetragenen Satz „Ich verstehe nicht.“ die Antwort folgt „Du verstehst nicht.“ – mein ‚Gesprächspartner‘ hat diesen Umstand also aufgenommen – und der Monolog beginnt von vorne, allenfalls mit erhöhter Lautstärke.
Auch werden gerne Stift und Papier geholt, und es wird mir alles aufgeschrieben, weil ich nicht verstehe. Kein bisschen von der Sprache beherrschend, fällt mir das Lesen chinesischer Schriftzeichen jedoch nicht direkt leichter.
Das alles soll aber nicht heißen, das Tibeter und Chinesen in der Regel nicht ausgesprochen freundlich und hilfsbereit sind. Nicht selten haben sich Leute teils viel Zeit genommen, mich einfach zu der Einrichtung zu führen, nach der ich gefragt habe – ein Internetcafe, ein billiges Hotel, ein Amt.
Und von ganz ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Preisgestaltung hier sehr korrekt. Nur einmal kam es zu einem Streit in einem Lokal, bei dem mir die kleine aber kräftig gebaute Frau des Hauses fast auf die Nase boxen wollte. Dabei hatte ich vorher gelesen, dass man als körpergrößenmäßig überlegener Europäer dahingehend wenig zu befürchten hat.

Nach der ersten chinesischen Großstadt Chengdu, erreiche ich die Stadt Xi’an, bekannt durch eine der größten Sehenswürdigkeiten des Landes, die Terrakotta-Armee. Zunächst möchte ich aber Freunde aus Berlin wiedertreffen.

Tom

Fotos zu diesem Artikel: Kangding/China – Xi’an/China : Fotos
Presse: Mianyang Evening News, Mianyang/China, 22.09.2007
Radio: Mianyang/China, 22.09.2007

16. Dezember 2007 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

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