Barcelona/Spanien – Berlin/Deutschland
Barcelona, eine tolle Stadt, die in jedem Fall einen längeren Aufenthalt lohnt. Viele sehr unterschiedliche, sehenswerte Bauwerke gibt es anzuschauen. Herausragend sind die organischen Gebäude des Architekten Antoni Gaudi, das Casa Battlo, der Park Güell, die Kirche Sagrada Familia, an der seit 1882 gebaut wird.
In Barcelona gibt es ein dichtes Netzwerk an Fahrradmietstationen, das rege genutzt wird, nur die Stadt per Fahrrad zu verlassen ist wiedermal nicht vorgesehen – ausschließlich Autobahnen und für Radfahrer gesperrte Tunnel führen in die von mir geplante Richtung.
Ich fahre hinauf in die Pyrenäen in den Zwergstaat Andorra. Zwergenhaft ist vor allem die Hauptstadt und einzige Stadt des Fürstentums, Andorra la Vella. Sie zwängt sich in ein Tal mit steilen Wänden, so daß man von jedem Punkt der Stadt aus deren Ende sehen kann. Drei Kilometer nach dem Ortseingangsschild folgt das Ortsausgangsschild der höchstgelegenen Hauptstadt Europas. Das ganze Land sieht aus, wie ein alpiner Wintersportort, und es hat ordentlich Schlagseite. Von Spanien geht es Richtung Frankreich immer bergauf – höher und höher, es wird immer kälter bis ich inmitten schneebedeckter Berge radle. Statt mit dem Fahrrad zu fahren, rutschen die Leute auf Brettern die Berge hinunter. Es geht über einen fast 2500m hohen Pass, und die Pyrenäen sind überwunden – nach Himalaja und Anden ein Kinderspiel. Es geht hinunter nach Frankreich, das nach nur etwa 40km durch Andorra erreicht ist.
In einer anderen Größenordnung befindet sich mein Gesamtkilometerstand. 40075km zeigt der Fahrradcomputer, die Länge des geografischen Erdäquators. Die Erde ist kilometermäßig mit dem Liegerad umrundet.
Mit höchstmöglicher Tagesleistung düse ich durch Frankreich an den Genfer See in die Schweiz, wo mein Bruder wohnt. Wir beide freuen uns sehr über das Wiedersehen, ich genieße zusätzlich für 6 Tage, daß ich mich nach langen an einem Ort ein wenig zu hause fühlen kann.
Auf zur letzten Etappe. Nach einem Tag durch die Schweiz spricht man deutsch, einen weiteren Tag später erreiche ich Deutschland.
Trotz fehlender Exotik ist die Fahrt durch Deutschland nicht langweilig. Es macht Spaß, das Heimatland mit den Augen eines Touristen zu sehen. Sehenswertes gibt es allemal – Freiburg, Heidelberg, Mainz, der Thüringer Wald, Erfurt. Nachdem ich in meinem Leben mehr als 50 Länder mit dem Fahrrad bereist habe, ist es auch längst überfällig, ein paar Defizite in Sachen Geografie Deutschlands zu beseitigen.
Mein nächstes Etappenziel ist der Ort Kriftel am Rand von Frankfurt a. M.. Dort wurde vor 2,5 Jahren in der Firma HP Velotechnik meine Street Machine zusammengeschraubt, das Liegerad, das seitdem auf meiner gesamten Reise ein zuverlässiges Werkzeug ist. Klar geht so eine Dauerbelastung nicht verschleißfrei vorbei, aber es gab nie einen Defekt, der uns gezwungen hätte, das Rad zum Beispiel auf einen LKW zu verladen oder Liegerad-Spezialteile einfliegen zu lassen. Und nach mehr als 40000km macht es immer noch Spaß, mit der Street Machine zu fahren. Bei einem sehr angenehmen Treffen kann ich meine Erfahrungen des Langzeittests an die Entwickler weitergeben, und ich bekomme dankenswerter Weise und zu meiner Freude ein paar verschlissene Teile kostenlos ausgetauscht.
Nun sind es in etwa 200km zu Freunden in Thüringen, von dort ca. 200km zu Freunden in Sachsen-Anhalt, dann noch einmal so viel bis nach Berlin. Drei kurze Abschnitte, dazwischen kurze Pausen und Wiedersehen.
„Aus Querfurt mit dem Fahrrad?“, fragen mich 2 Jungen ungläubig. Querfurt ist 20km entfernt. Erst nachdem sie dreimal gefragt haben, wird ihnen klar, daß ich tatsächlich die ganze Strecke bis nach Berlin, noch knapp über 200km, mit dem Rad zurücklegen möchte. Inklusive dessen, daß ich das vernuschelte Sachsen-Anhaltinisch eines der Jungen nicht leicht verstehe, der gleiche Dialog, wie überall auf der Welt.
Euphorisiert vom Gefühl, es, die Weltumrundung, geschafft zu haben, rollt das Rad bei herrlichem Frühlingswetter von allein. Bei meinem Stopp in Sachsen-Anhalt überrascht mich Denise mit ihrem Besuch – eine große Freude, nachdem ich in den letzten 2 Monaten mehr als 4000km noch einmal alleine unterwegs war. Alles ist perfekt.
Einen drastischen Bruch gibt es, als wir Zeuge werden, wie eine Freundin schwer verunfallt mit noch nicht absehbaren, aber möglicher Weise schwerwiegenden Langzeitfolgen. Da ich momentan nicht hilfreich sein kann, setze ich am nächsten Tag meine Tour fort. Gelegentlich wurde ich gefragt, was das schlimmste Erlebnis der Fahrt war. Das ereignete sich gerade kurz vor der Ziellinie. Die gute Stimmung ist weg. Es rollt nicht mehr wie von allein. Gegenwind. Ich versuche, den Vorfall zumindest momentan zu verdrängen, denn es naht mein großer Tag, aber es gelingt nicht.
Die letzte Nacht verbringe ich bei meinen Eltern vor den Toren Berlins. Am 19.4.2009 radle ich in die Stadt und nach 42148 radgefahrenen Kilometern schließt sich der Kreis, wo am 14.10.2006 zusammen mit Maik alles begann, an der Weltzeituhr am Alex. Kairo steht auf dieser, Tokyo, Panama und Rio de Janeiro. Ich bin rund um die Uhr gefahren. Einige gute Freunde empfangen mich. Eine Freundin hat ein Willkommensschild mit Gesamtkilometerstand gemalt, das die Aufmerksamkeit eines zufällig anwesenden Fotografen des Berliner Kurier erregt und uns ein angenehmes Treffen mit interessierten Reportern in den nächsten Tagen beschert („Tour de Welt“, Berliner Kurier vom 24.4.09).
Die Welt im Liegen – ein großes, viel Zeit in Anspruch nehmendes Projekt ist beendet. Unglaublich. So viel habe ich gesehen und erlebt, mir mit eigenen Augen ein Bild von der Welt gemacht, Teile der Welt intensiv kennengelernt. Viel gäbe es noch zu sehen. Jetzt freue ich mich aber erst einmal auf ein Ende des Nomadenlebens und die Annehmlichkeiten des Alltags in Deutschland, für uns Kleinigkeiten, aber nicht überall selbstverständlich.
Das Größte an der Reise ist, daß ich einen lange gehegten Traum angegangen bin und ihn realisiert habe, was wohl leider zu wenige Menschen von sich behaupten können.
Tom
Fotos zu diesem Artikel: Barcelona/Spanien – Berlin/Deutschland : Fotos
Presse: Berliner Kurier, Berlin/Deutschland, 24.04.2009, „Tour de Welt“
5 Responses to “Barcelona/Spanien – Berlin/Deutschland”
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