Uyuni/Bolivien – San Pedro de Atacama/Chile

Die Lagunenroute – „eine der schwersten Pistenstrecken in Südamerika“, schreibt man. Solche Superlative sind meist nicht viel wert, aber die geschilderten Schwierigkeiten lassen keine Spazierfahrt erwarten – Gesamtlänge der Piste mit dem nach Uyuni bereits zurückgelegten Stück beinahe 700km, sehr schlechte Piste, schlechte Versorgung selbst mit Trinkwasser, Höhe überwiegend über 4000m ü. NHN, maximale Höhe fast 5000m ü. NHN, extremes Wetter, wie Sturm, eventuell Schnee, Nebel, mögliche Tiefsttemperatur -20°C, schwierige Navigation.
Auf der Haben-Seite eine einzigartige Landschaft, Salzseen, die Lagunen – Seen in verschiedenen Farben, Flamingos, Geysire, Felsformationen, Hochwüste. Aber der Reihe nach.

In Uyuni bunkern wir Essenvorräte. Später haben wir für die geplanten 10 Tage zum Beispiel allein mehr als 5kg Spaghetti an Bord. Und wir brauchen ausreichend Brennstoff für unseren Kocher. An der Tankstelle ist zufällig gerade das Benzin alle. Ein PickUp-Fahrer chauffiert mich zu sich nach Hause, wo er mir zum Selbstkostenpreis gehortetes Benzin verkauft, und wieder zurück. Ausgesprochen entgegenkommend.

Wir radeln zum Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Erde. Es geht hinaus auf eine feste, ebene Fläche, weiß bis zum Horizont. Man scheint sich kaum von der Stelle zu bewegen. Ein neues visuelles Erlebnis, ein ganz neuer Fahreindruck (siehe Video). Wir steuern eine Felseninsel in der Mitte des Sees an, um dort die Nacht zu verbringen. Das besondere ist, dass man ewig ohne Orientierung in eine bestimmte Richtung fährt ehe man aus einer Entfernung ab etwa 30km ein Ziel erahnt, das sich vorher hinter der Erdkrümmung versteckt hat. Nur sehr langsam kommt dieses Ziel dann näher. Wir hatten uns extra einen Kompass gekauft, um nicht an der Insel vorbei zu fahren. Die Nacht außerhalb der Insel, mitten auf dem Salz zu verbringen ist nicht empfohlen, da angeblich Fahrzeuge auch nachts quer über den See rasen, die man dann schlimmsten Falls im Zelt hat. Der Kompass wäre aber nicht notwendig gewesen, da die zahlreichen Touristen-Allradfahrzeuge, die die Insel ebenfalls ansteuern, gut sichtbare Spuren auf dem Salz hinterlassen haben. Man muss nur der richtigen folgen.
Wie der Salar ist auch die Insel Incahuasi ein surrealistischer Platz. Jahrhunderte alte, teils mehr als 10m hohe Kakteen wachsen inmitten einer weißen Ebene, die aussieht, als wäre es Schnee, wie Kakteen an einem der Pole.

Wieder an Land. Mittagspause. Wir kochen etwas. Wind kommt auf in der sandigen Landschaft. Sahara-style habe wir diese unvermeidlich knirschende Variante der Essenszubereitung letztes Jahr in Ägypten genannt. Weiter geht es gegen immer kräftiger werdenden Wind über den versandeten Salar de Chiguana. Statt weicher Piste mal harter Untergrund, aber der Gegenwind lässt nur eine Geschwindigkeit von etwa 7km/h zu. Besser, als mit 3km/h durch weichen Sand zu schieben. Was wir jetzt schon als ungemütlich empfinden, ist aber nur der müde Auftakt dessen, was wir wohl so schnell nicht vergessen werden. Das Ganze wird zu einem ordentlichen Sandsturm. Wir können nichts mehr sehen, legen uns auf die Erde hinter unsere Räder auf die der Sand, vielmehr Kies, eintrommelt. Wir sind vermummt, aber der Sand sammelt sich hinter der Sonnenbrille. Der salzige Boden brennt in den Augen und haftet gut an den atemfeuchten Tüchern vor unseren Mündern, verkrustet. Wir bekommen kaum noch Luft. Wir sind dem Naturereignis machtlos ausgesetzt und können nur abwarten (siehe Video).
Als sich die Sicht etwas verbessert, versuchen wir, hinter unsere Fahrräder geduckt an den Rand der großen Ebene zu kommen, auf der wir uns befinden, versuchen, in den Windschatten eines Berges zu gelangen. Schutz vor dem Wind bietet der Berg wenig, aber der Sandbeschuss wird weniger. Mit Mühe bauen wir unser Zelt auf. Allein wäre das unmöglich gewesen. Mit allem, was wir haben, verankern wir das Zelt am Boden, Büschen, den Liegerädern. Kräftig zerrt der Wind die ganze Nacht am inzwischen innen gut eingesandeten Zelt, und wir sind froh, dass es dem standhält.

Windig ist es jeden Tag hier oben, ein eisiger Wind. Wenigstens wärmt täglich bei strahlend blauem Himmel die Sonne. Sobald sie untergeht, sinkt die Temperatur in den 2-stelligen Minusbereich. Wir igeln uns ein und kommen erst wieder heraus, wenn am nächsten Tag die Sonne scheint.
Störend am hauptsächlich von der Seite kommenden Wind ist, dass es auf vielen Pisten theoretisch eine schmale Fahrspur gäbe, der Wind verhindert jedoch, darauf zu bleiben.

Weiter geht es in den nächsten Tagen über Pisten, die quasi ein worst-of, das Schlechteste, dessen sind, was ich auf allen bisherigen Pistenabschnitten gefahren bin – der weiche Sand und mehlfeine Staub in der Sahara, die steinigen Abschnitte in Kenia, die Bergpisten in Äthiopien, die dünne Luft in Tibet, Wellblech ohne Vergleich. Schieben, Fahrversuch, schieben, Fahrversuch, umfallen wegen der versandeten Klickpedale, … . Es gibt steilere Anstiege mit weichem Sand, wo sich der Geschwindigkeitsmesser bei 2,5km/h aufhält. Der weiche Sand ist das Schlimmste, denn zusätzlich sind unsere Räder überladen – Essen für 10 Tage, manchmal Wasser für 3 Tage. Etwa 70kg wiegt mein Rad. Es gibt eine Passage, die ist so felsig, dass sogar die Touristen aus den Allradfahrzeugen steigen müssen. Während die Touris laufen, buckelt das Auto sich hin und her werfend übers Gestein. Einen Anstieg schieben wir die Räder nacheinander hinauf, 2 Leute an einem Rad. Zwar haben wir keinerlei Probleme mit der Höhe, seit Wochen waren wir nicht mehr unter 3500m ü. NHN, aber auf 4500m ü. NHN ein so schweres Rad durch weichen Sand einen Hang hinaufschieben, da wird die Luft knapp.

Obwohl wir konzentriert fahren, ständig auf der Suche nach einer fahrbaren Spur und ständig mit Wind und Weichsand ausgleichenden Fahrmanövern beschäftigt, kommt in uns beiden die Sinnfrage auf. Während Denise manchmal etwas fluchend keine Antwort findet, überlege ich, ob es mich auch reizt, etwas zu schaffen, was nicht jeder schafft – sportlicher Ehrgeiz also. Immerhin haben wir vorher nur einmal Leute getroffen, die diese Strecke überhaupt in Angriff genommen haben, und die sind in einen PickUp umgestiegen. Da mir diese Motivation rational sinnlos erscheint, will ich es nicht wahrhaben, aber die eigenen Grenzen auszuloten befriedigt doch. Andererseits schöpfe ich daraus die Kraft, auch solche Abschnitte durchzuhalten. Letztlich entscheidet hier die Psyche.
Am Ende packt aber auch Denise der Ehrgeiz, und an Tag 8 und 9 lehnen wir eine uns angebotene Mitfahrgelegenheit ab.

Wenigstens haben wir kaum Probleme mit der Navigation. Es gibt weder Straßen noch Wegweiser, und die Autospuren, oft viele verschiedene Spuren, führen kreuz und quer durch eine unendlich weite Landschaft. Jeder sucht sich den besten Weg. Da wir immer gute Fernsicht haben, können wir uns an den herumfahrenden Landcruisern orientieren.

Der Grund, sich auf diese Plackerei einzulassen, ist die grandiose Landschaft. Wie der Name erahnen lässt, führt die Lagunenroute entlang zahlreicher Lagunen, kleine, mineralstoffhaltige Seen in verschiedensten Farben. Unter anderem gibt es eine rote Lagune, eine türkisfarbene, blaue. Einige Lagunen sind besiedelt von rosafarbenen Flamingos – rosa Flamingos in farbigem Gewässer mit weißem Salzrand vor hohen, kargen, teils schneebedeckten Bergen. Irgendwie nicht ganz Florida und Miami Vice, was mir bei Flamingos in den Sinn kommt.
Die Landschaft ist eine karge Hochwüste, aber gleichzeitig auch sehr farbig.
Es gibt viele Vulkane. So kommen wir auch am höchsten Geysirfeld der Erde vorbei – Sol de Mañana, 4840m ü. NHN – wo wir unser Zelt mit Blick auf die Fontänen aufschlagen. Hier in der Gegend ist ja fast alles „das höchste der Welt“ – die höchste Stadt der Welt, der welthöchste Yachtclub, das welthöchste Skigebiet, die höchste Hauptstadt der Welt (La Paz), die nicht einmal Hauptstadt ist (Sucre ist Boliviens Hauptstadt).

Nach 10 Tagen harter Arbeit, in denen wir nach dem gut fahrbaren Salar etwa 40km am Tag schaffen, erreichen wir die Grenze nach Chile. Der Übergang ist bereits geschlossen, aber den Ausreisestempel haben wir seit 1,5 Wochen, seit Uyuni im Pass. 5 Kilometer später sind wir nach 676km Piste wieder auf Asphalt.
Eigentlich wollen wir links nach Argentinien weiter, aber unsere Vorräte sind aufgebraucht. So biegen wir rechts ab, stürzen uns 2000 Höhenmeter steil bergab in die Oase San Pedro de Atacama in der gleichnamigen trockensten Wüste der Erde. Nur wenige Kurven gibt es auf dieser Gefällestrecke. Allein der Spielverderber Wind verhindert neue Geschwindigkeitsrekorde. Verdammt, wieder nicht die 100km/h geknackt! Ja, es gibt die Sucht nach Rekorden. Aber wann zeigt die Durchschnittsgeschwindigkeitsanzeige nach einer halben Stunde Fahrt schon mal einen mittleren 50er Schnitt. Wofür wir in der letzten Woche einen ganzen Tag gerackert haben, rollen wir nun fast ohne zu treten in einer Stunde.

Im Vergleich zu Peru und Bolivien ist Chile eine völlig andere Welt. Es gibt alles, man ist kundenorientiert, locker, offen. In nur 2 Tagen gibt es mehr positiv auffälliges Verhalten uns gegenüber, als es uns bei den verschlosseneren Bolivianern passiert ist. Dafür ist es auch viel teurer. Vorbei die Zeiten, als es für weniger als 1,-EUR ein Mittagsmenü gab.
Dennoch reiht sich ein erstes Chileerlebnis ein in die in letzter Zeit gesammelten Dienstleistungen, die keine sind. An den Geldautomaten und in mancher Wechselstube ist kein Geld vorrätig. In Bolivien waren wir in einem Laden – das stand 2-sprachig angeschrieben – in dem man die Verkaufsartikel lieber für sich behalten wollte, als sie uns zu verkaufen – wir wollten den gesamten Lagerbestand an Spaghetti erwerben – 4 Päckchen. Wie erwähnt gab es in Uyuni an der Tankstelle kein Benzin, und in einem Restaurant gab es kein Besteck, zum Fleischgericht nur einen Löffel.

2 Tage Pause, zumindest vom Radfahren. Wir sind so unsagbar eingestaubt und versandet. Auch die gesamte Ausrüstung muss gereinigt werden. Nach 10 Tagen kommen wir ausgerechnet in der Atacama-Wüste erstmals wieder mit Wasser in Kontakt.

Tom

Fotos zu diesem Artikel: Uyuni/Bolivien – San Pedro de Atacama/Chile : Fotos
Video zu diesem Artikel: Radfahren auf dem Salar de Uyuni/Bolivien : Video
Video zu diesem Artikel: Sandsturm auf dem Salar de Chiguana/Bolivien : Video

Infos für Gleichgesinnte: www.info.tour-en-blog.de – Lagunenroute – Von Uyuni/Bolivien nach San Pedro de Atacama/Chile

15. September 2008 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

6 Responses to “Uyuni/Bolivien – San Pedro de Atacama/Chile”

  1. 1 maik 15 September 2008 @ 4:16

    Mensch Tom und Denise – ohne Worte!! Wahnsinn! Danke für Fotos, Videos und den Text! Einer der besten blog-Einträge! Sitze mit Elisa jetzt schon eine gute halbe Stunde gebannt hier vor´m Bildschirm, die Südamerikakarte neben uns. Unseren größten Respekt! und alles Gute weiterhin. Viel schlimmer und schöner zugleich kann es ja jetzt wohl kaum noch werden!? ;) Einen lieben Gruß hier aus Bogotá.

    maik

  2. 2 Jens 15 September 2008 @ 18:22

    Man was macht Ihr für Sachen. Das ist ja Megahart!!! Ich hätte ja schon längst gestreikt. Ich bewundere Euch total und habe allerhöchsten respekt für gerade diesen Abschnitt. Dazu noch die gute Beschreibung durch den Autor und natürlich die Video’s. Das ist doch was für’s Auge. Ich wünsche Euch viel Glück und entspannt mal!
    Jens
    PEAK

  3. 3 Nadine&Olli 29 September 2008 @ 21:53

    Ohne Worte…..

    wir machen Euch einen Sandkuchen, wenn ihr wieder da seid!

    Olli

  4. 4 Didi 4 Oktober 2008 @ 19:39

    Hola compañeros,
    hatte beim Lesen eures Berichtes ein „Deja-Vu“. Genau so haben auch wir die Strecke empfunden, vor allem die Motivations-Frage. Wobei: kaum hat man die Route hinter sich, scheinen die Strapazen und das Leiden wie verflogen… bleiben tun vor allem die schönen Eindrücke (und ein bisschen Stolz).

    Weiterhin viel Spass in Argentinien, Gruss aus Sucre.
    Didi

  5. 5 gladis pablo juana gabriel 22 Oktober 2008 @ 16:58

    HOLA PAREJA!BUENO, LOS FELISITO POR ESE VIJE Y ESOS VIDEOS TAN EXELENTES.LOS ESPERAMOS EN CANARIAS TODOS NOSOTROS. PARA QUE SE DEN UN RESPIRO DEL VIJE Y PUEDAN TERMINARLO EN ALEMANI BIEN.POR AHORA LES DESEO MUCHO ANIMO DESDE CANARIAS UNOS GRANDES AMIGOS NO SOLO DE MAIK Y ELISA SINO MIOS TAMBIEN UN BESO Y UN ABRAZO.
    JUANAPABLO GLADIS Y GABRIEL

  6. 6 Travel Nerd 4 August 2012 @ 10:52

    Wau, eine klasse Tour.
    Ich bin auch gerade wieder dabei aufzubrechen.
    Habt Ihr eine Idee, wie die Lagunenroute im November ist? Geht es dann überhaupt noch oder braucht man dann Schwimmflügel und ne Matschschaufel?

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