Ipiales/Kolumbien – Cuenca/Ecuador

Vor uns liegt Ecuador, für südamerikanische Verhältnisse ein kleines Land. „Nur“ etwa 1200km werden wir hier radfahren.
Erste Station ist die Stadt Tulcan nahe der Grenze zu Kolumbien. Dort zieht es uns auf den Friedhof. Angeblich hat ein Friedhofsgärtner dort vor Jahren angefangen, die Hecken speziell zu beschneiden. Daraus ist nun ein ansehnlicher Heckenskulpturenpark geworden. Normalerweise ist derart frisierte Natur nicht mein Geschmack, der Friedhof in Tulcan beeindruckt mich aber trotzdem. Interessant sind auch die „Gräber“ – eher nach Art einer Hochregallagers.
Wir überqueren den Äquator. Seit dem Bau eines neuen Touristenzentrums an einer anderen Straße, die den Äquator kreuzt, hat das Monument, das wir passieren seine beste Zeit hinter sich. Eine Betonweltkugel umgeben von kaputtem Pflaster mit eingelassener Nulllinie, 1 einsamer Verkaufsstand, 4 weitere Personen, von denen 3 lediglich auf den Bus warten. Der Ort strahlt auf belustigende Art absolute Belanglosigkeit aus.
Wir erreichen Quito, wo wir unsere Radbekanntschaften aus Kolumbien wiedertreffen. Zwei Tage verbringen wir in in der ecuadorianischen Hauptstadt, dann setzen wir unsere Fahrt in großer Gruppe fort – 4 Liegeräder, 2 Mountainbikes, 1 Anhänger – 2x Schweiz, 2x USA , 2x Deutschland. Ein toller Zug, der sicher auch bei uns zu Hause Aufsehen erregt hätte. Am nächsten Tag trennen sich unser Weg und der der US-Amerikaner Andrew und Mikey. Mit gehobener Geschwindigkeit in Windschattenformation sausen nun 4 Liegeräder über die Landstraße – cool.
Leider verabschieden wir uns schon am folgenden Tag auch von Stefan und Pius. Stefans Rahmen ist in der Mitte durchgebrochen. Unfassbar, wenngleich an der Bruchstelle unsagbar schlecht konstruiert und somit nicht verwunderlich. Zum Glück passierte das im Stand, und wir fuhren gerade bergauf. Immerhin haben die beiden beim bergab Fahren schon die 100km/h-Marke geknackt. Wir verladen den Falt-Tieflieger auf einen Kleinlaster und Denise und ich sind wieder zu zweit. Mit Pius und Stefan haben wir uns gut verstanden und hätten es sicher eine Weile zusammen ausgehalten. Günstigsten Falls wären wir bis ca. 600km nach Peru hinein gemeinsam gefahren.
Unsere Fahrt führt entlang der sogenannten Allee der Vulkane. Diverse, schneebedeckte Vulkankegel kann man sehen, wenn sie sich nicht in Wolken verstecken. Wenigstens zeigt sich der Chimborazo in ganzer Pracht, den man in gewisser Weise als höchsten Berg der Welt bezeichnen kann. Dank seiner äquatorialen Lage und der Tatsache, dass die Erde ein Rotationsellipsoid ist mit größerem Durchmesser eben am Äquator, ist der Gipfel des Chimborazo der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernte Punkt der Erdoberfläche.
Ecuadors Landschaft begeistert. Leider ist es in einigen Gebieten entlang der Straßen sehr vermüllt. Mit vielen Verhaltensregeln-Hinweisschildern und anderen Kampagnen versucht man gegenzusteuern. Darüber hinaus zählen die Abgaswolken, die uns Busse und LKW ins Gesicht blasen zu den rußigsten, die mir auf dieser Reise begegnet sind.
Auch die Menschen begeistern uns. Sie sind meist freundlich und offen, grüßen uns lachend. Viele sind traditionell gekleidet, jung wie alt, d.h. Kniestrümpfe, Rock, schweres Tuch um den Oberkörper und ein markanter Hut, alles recht farbig. Kinder werden mittels Tüchern auf den Rücken gebunden.
Gerade in einer Abfahrt etwas zügiger unterwegs, rutscht Erde von einer Steinklippe direkt an der Straße. Es folgt eine Kuh, die auf der anderen Fahrbahnseite in den Straßengraben knallt. Sie hatte sich zu nahe an der Kante aufgehalten, diese losgetreten und war ca. 8m hinabgestürzt. Scheinbar war sie sofort tot. Vermutlich ein Schlag für die arme Kuh und die armen Bauern gleichermaßen. Die Kuh landete zwar einige Meter von uns entfernt, aber ich denke, dass es schon ein dramatisches wie ungewöhnliches Ende wäre, eine Kuh auf den Kopf zu bekommen.
Einen kurzen Moment verlässt uns dann aber doch das Glück. Einige Male habe ich in Ecuador schon die 80km/h überschritten. In einer weiteren rasanten Abfahrt komme ich beim Bremsen vor einer Kurve ins Schleudern, löse die Bremsen, bremse erneut, schleudere wieder, bekomme die Geschwindigkeit nicht kurventauglich reduziert. Sturz in eine Betonrinne neben der Straße. Letzte Geschwindigkeitsmessung über 74km/h. Es ist kühl, und ich trage 3 Lagen Bekleidung am Oberkörper. Die sind alle durchlöchert bis völlig zerfetzt. Der Helm steckt ebenfalls ordentlich ein. So komme ich erstaunlich günstig mit Schürfwunden davon. Nicht auszudenken, wie das ohne Helm ausgesehen hätte. Selbst das Rad nimmt wenig Schaden, kann in Eigenarbeit ohne Ersatzteile repariert werden. Am nächsten Tag radeln wir weiter.
Wir brauchen neue Klamotten. Abgesehen von meinem Sturz löst sich Denises Hose auf. Und gerade jetzt begegnen wir einem Reportageteam von „El Tiempo“, einer großen, nationalen Tageszeitung – kurzes Interview und Fotos abgerissener Radfahrer.

Tom

Fotos zu diesem Artikel: Ipiales/Kolumbien – Cuenca/Ecuador : Fotos
Presse: El Tiempo, Cuenca/Ecuador, 20.06.2008, „Pareja de alemanes en travesía por el mundo“

16. Juni 2008 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

2 Responses to “Ipiales/Kolumbien – Cuenca/Ecuador”

  1. 1 Stefan 18 Juni 2008 @ 9:39

    Ja Tom, die Raserei bringt eben nichts :-) Da wirst Du Dir neben neuem Zwirn wohl auch einen neuen Helm zulegen müssen, wenn dieser „einiges eingesteckt“ hat!

    Alles Gute weiterhin beim Fahren und in Land schauen!
    Stefan

  2. 2 Aron 30 Juni 2008 @ 1:32

    Man, man, Tom, wat machst du nur für Sachen. Die arme Kuh. Die hat euch bestimmt kommen sehen, und in sich in ihrer Panik nicht anders behelfen können als sich in den Tod zu stürzen.

    Das du die Betonrinnen der armen Ecuadoreaner mit deinem Helm kaputt machen wolltest finde ich auch nicht besonders nett von dir. Die haben doch so schon so wenig Geld.

    Take care, old friend :) und allzeit gute Fahrt.

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