Xi’an/China – Peking/China

Ich erreiche den Ausgangspunkt der Seidenstraße, die Stadt Xi’an.
Hier kreuzen sich meine Reiseroute und die von Jule und Karsten, Freunde aus Berlin, die mit Rucksäcken durch die Welt reisen – www.kreutziger.net. Ich denke daran, daß mir die beiden bestimmt auf dem Weg zu ihrem Hostel über den Weg laufen. Schließlich hat Xi’an „nur“ etwas mehr als 7 Millionen Einwohner. Auf dieser Reise habe ich bereits 2-mal Leute zufällig in großen Städten wiedergetroffen – in Chengdu, 10,4 Millionen Einwohner und in Kairo, 7,7 Millionen Einwohner allein in der in der eigentlichen Stadt. Und so gibt es das erste Wiedersehen mit Jule und Karsten tatsächlich zufällig auf der Straße.

Die nächsten beiden Tage verbringen wir zusammen – durch die Stadt bummeln, zusammen Essen, Erledigungen in Sachen China-Visum und Radersatzteilbeschaffung, der weiblichen, deutschen Fußballnationalmannschaft beim Gewinn des WM-Finales hier in China zusehen und natürlich viel viel quatschen. Beeindruckende 28 Monate reisen die beiden schon und sind offenbar immernoch neugierig und wissbegierig. Keine Spur von ziellosem In-den-Tag-hineinleben. Es ist schön, Bekannte wiederzusehen, und ich freue mich, daß die beiden ihren Aufenthalt in Xi’an meinetwegen um einen Tag verlängern. In dem gemütlichen Hostel kommt bei mir zum zweiten Mal das Gefühl auf, hier könnte ich noch einen Tag bleiben und nichts tun oder besser noch etwas im blog von mir hören lassen. Das ablaufende China-Visum läßt mich aber besser früher als später wieder auf’s Rad steigen.
Als ich am nächsten Abend in irgendeiner Straßenküche abendesse und anschließend allein meinen Schlafsack auf irgendeinem Feld ausrolle, komme ich mir nach diesem Treffen etwas einsam vor.

Besuch der Terrakotta-Armee. Auch für sehr viele andere Menschen Besuch der Terrakotta-Armee. Es ist der 1.10., Nationalfeiertag, erster Ferientag einer landesweiten Ferienwoche. Vermutlich ist es an dieser weltweit bekannten Sehenswürdigkeit aber immer voll.
Es ist einer der größten Grabbauten der Welt, an dessen Bau mutmaßlich 700000 Arbeiter beteiligt waren. Teil der Anlage ist eine komplette, lebensgroße Armee aus Terrakottasoldaten mit echten Waffen und Wagen mit Pferden aus Bronze oder Ton – etwa 7300 Soldaten und 130 Kriegswagen. Nur ein Bruchteil ist bisher ausgegraben, die zerbrochenen Soldaten werden mühevoll zusammengepuzzelt und von der ursprünglichen Farbgebung ist wenig erhalten. Dennoch beeindruckt das ganze durch die riesige Anzahl an Figuren, enorme handwerkliche Fähigkeiten und die Tatsache, daß es hinsichtlich Gesichtzügen, Körperhaltung und Ausstattung keine identischen Figuren gibt.

Ich zahle mit meiner Prominenz. 3 Mal haben sich beim Essen Leute so sehr für mich interessiert, daß ich, da es keine gemeinsame Sprache gab, einen chinesischen Zeitungsartikel herausgeholt habe, der mich und mein Tun ausführlich beschreibt. So hat 2 Mal das Restaurant und 1 Mal ein anderer Gast mir das Essen gesponsert. Ein Nudelessen kostet umgerechnet zwar nur ca. 50 Cent, dennoch sehr nett. Der für mich zahlende Gast bringt mich zu einem Hotel – sieht deutlich besser aus, als die Billigunterkünfte, in die ich mich sonst einquartiere. Normalerweise hätte ich hier nicht nach einem Zimmer gefragt. Mein „Betreuer“ möchte den Zeitungsartikel, verschwindet damit immer wieder, telefoniert viel. In der Hotellobby sammeln sich Leute um mich. Ich werde etwas ungeduldig, denn es ist bereits Nacht, ich suche einen ruhigen, bezahlbaren Schlafplatz, und von beidem scheine ich derzeit weit entfernt. Letztendlich schenkt mir die Hotelleitung eine Übernachtung inklusive sehr gutem Frühstück. Eine Frau möchte mir umgerechnet etwa 20,-€ schenken, für chinesische Verhältnisse nicht wenig. Davon könnte ich ein paar Tage leben. Ich lehne aber ab. Am nächsten Morgen ein Fernsehinterview. Ein Tourismus-Regierungsbeamter will noch die Zeitung herbeiholen, aber es sind Ferien, und kein Reporter ist verfügbar. Sehr schade ist, daß wegen der Ferien auch ein Schulbesuch ausfällt. Einer der Anwesenden ist Lehrer und hätte mich anderenfalls mit in die Schule genommen.

Ich begegne Dan aus England, der mir mit dem Rad aus Korea entgegenkommt und Richtung Südafrika unterwegs ist – www.koreatocapetown.co.uk. Keinesfalls wird er dabei abermals durch Äthiopien radeln, denn was ihm dort auf einer vergangenen Radreise passiert ist, ist wirklich übel. Er stieß mit einer Frau zusammen, war etwas weggetreten, dann wurde er getreten, mit Stöcken geschlagen, mit Steinen beworfen. Auch infolge des Sturzes hat er sich Rippen gebrochen, den Arm, das Bein verletzt, Bruch an der Schulter mit ordentlicher Narbe. Dagegen sind unsere Äthiopien-Erlebnisse ausgesprochen harmlos.

Erstmals treffe ich Radfahrer mit gleichem Ziel, ein chinesisches Pärchen auf dem Weg nach Peking. Sie sind in einem Radclub, und in jeder größeren Stadt scheint es Radclubs zu geben. Diese sind über die Ankunft der Radler informiert, kommen dann bis ca. 20km vor die Stadt entgegen und kümmern sich um Essen und Unterkunft. So war ich mit von der Partie – eingeladen zum Essen, Zimmer billig, weil mit den Chinesen geteilt. Die beiden haben einen Etappenplan, also genau festgelegt, wo sie schlafen (immer in einer Stadt). Der Zeitplan ist zwar recht ordentlich, für mein Visum aber einen Tag zu lang. So bin ich am nächsten Tag alleine weiter. Nach 100km wartet das Empfangskomitee für die Chinesen, die mich gleich mit einladen. „Vielen Dank, aber ich will heute noch weiter.“ Etwas später ein Empfänger, der telefonisch für mich abgestellt ist. Letztlich ist es dann doch spät und dunkel geworden, und ich bleibe in der Stadt. Wieder Zeitungsinterview und Kameramann. Großes Essen in einem seafood-Restaurant mit vielen Mitgliedern des Radclubs – ein geselliger, lauter Abend. Irgendwann kommen auch meine chinesischen Freunde an. Das Essen ist kostenlos, weil der Restaurantbesitzer Radclub-Mitglied ist, das Hotel ist kostenlos, weil der Besitzer der Onkel eines Radclub-Mitglieds ist. Am nächsten Tag sind wir zu 3. los. Die beiden legen ein ziemliches Tempo vor. Nach 70km der Einbruch. Sie schicken mich allein weiter, und ich packe an diesem Tag noch 100km drauf.

Von der viel diskutierten Umweltzerstörung in Form von verseuchten Mondlandschaften sehe ich fast nichts, nicht in den Landesteilen, in denen ich unterwegs bin. Nur auf einem Abschnitt ist die Luft sehr dreckig. Die Klamotten sehen aus, als wären sie nie gewaschen worden. Nach einem halben Tag auf dem Rad habe ich schwarze Hände und ein schwarzes Gesicht.

Nach straffer Fahrt – trotz Gegenwind mehr als 1200km in 9 Tagen – erreiche ich Peking. 1 Tourgeburtstag – 1 Jahr im „Sattel“. Ca. 20700km beträgt der Tachostand.

Tom

Fotos zu diesem Artikel: Xi’an/China – Peking/China : Fotos
Presse: Yan Zhao Metropolis Daily, China, 10.10.2007

9. Januar 2008 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

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