Lhasa/Tibet – Kangding/China

Tibet – üble Pisten, Höhenkrankheit, schlechtes Wasser, mäßige Lebensmittelversorgung, nur gesalzener Buttertee, tollwütige Hundebanden, überall militärische Kontrollpunkte. Durchschnittlich 6 chinesische Radfahrer täglich, Studenten in den Semesterferien, kommen mir entgegen. „Da kommst du mit dem Fahrrad nicht durch. Gefährlich.“
Von wegen. Alles leichter, als berichtet wird. Viel scheint sich in den letzten Jahren geändert zu haben. Oft sind die Straßen gut bis sehr gut. An keinem checkpoint werde ich kontrolliert. Die Versorgung ist ausreichend, keine Probleme mit Hunden. Auch, wenn es weniger geworden ist, gibt es Pistenabschnitte. Die sind aber fahrbar. Kein Vergleich mit dem, was Maik und ich in Afrika hatten. Vor diesem Hintergrund ist meine Schmerzgrenze wohl eine andere, als die der mir Entgegenkommenden. Herausfordernd werden die Pisten allerdings, wenn es stark regnet – rutschige Schlammpisten, 2 weggespülte Brücken, einige Wasserdurchquerungen mit Wassertiefen bis zur Oberkante der unteren Packtaschen. Wenn es dabei noch kalt ist, ist es ungemütlich. Bereits im Vorfeld respekteinflößend ist das Streckenprofil. Über 20 Pässe, meist 4000er, einige über 5000m. Dazwischen runter auf Höhen zwischen 2500 und 3500m, aber auch fast nie tiefer, um der Höhenproblematik zu entfliehen. Die Anstiege können 60km lang sein. Das ist meist Arbeit am gleichen Anstieg an 2 aufeinanderfolgenden Tagen. In der Regel sind die Anstiege lang, aber nicht sehr steil. Bei geringerem Sauerstoff-Partialdruck krieche ich mit ca. 5km/h Stunde um Stunde die Steigungen hoch.
Der höchste Pass ist mit 5013m und 25cm ausgewiesen. Die Höhenangabe steht auf einem Stein, der sich auf einem Dreckhaufen neben der Straße befindet. So kann ich nicht genau sagen, wie hoch ich bin.
Die Landschaft gefällt mir sehr. Ich bin motiviert, aber manchmal habe ich keine Lust auf das tägliche, ewige Bergauffahren.

Insbesondere in Lhasa fühle ich mich dem Westen so nahe, wie lange nicht mehr – riesige Supermärkte, Internet-Cafes, wie ich es noch nirgendwo gesehen habe – mehr als 200 Plätze, Breitbild-Flachbildschirme, Ledersessel, schnelle Verbindung. Trotz sehr guter Ausstattung der erste Kontakt mit chinesischer Informationsunterdrückung. Kein Zugriff auf alle blogspot-Seiten der US-Amerikaner aus meiner Reisegruppe nach Lhasa und auf andere Reisetagebücher. Kein Zugriff auf Wikipedia oder Infos über Tibet inklusive Tibet-Wetter.
Ich bleibe noch 1 Tag in der Stadt. Es heißt nicht zuviel trödeln, wegen der begrenzten Aufenthaltsgenehmigung für Tibet. Endlich wieder auf’s Rad. Nach Kenia, Tansania, Indien und Nepal geht es zurück auf die rechte Straßenseite.
Am letzten Abend in Lhasa möchte ich den Potala-Palast bei Nacht fotografieren. Ein Rikscha-Fahrer springt mir vor der Linse herum, will nicht verstehen, dass ich keine Mitfahrgelegenheit brauche. Endlich freie Sicht. Ein erstes Bild, da geht die Beleuchtung des Palastes aus. Die Mönche möchten schlafen, deutet mir der Rikscha-Fahrer.

Neben der physischen Herausforderung ist vor allem die Verständigung ein Problem. Wenigstens muss ich selten nach dem Weg fragen, denn es gibt weitestgehend eine Straße. Beim Bestellen im Restaurant endet das oft damit, dass ich in der Küche stehe, in alle Töpfe gucke und zeige, was ich möchte. Nicht alles, was ich im hinteren Bereich von Restaurants sehe, ist sehr appetitlich.
Eine Restaurant-Geschichte sah so aus: Ich bestelle auf tibetisch. Niemand versteht, und es kommen mehr und mehr Leute zusammen, die versuchen, meinem Kauderwelsch einen Sinn zu entnehmen. Irgendwann ist alles klar, ich bekomme etwas zu essen. Jetzt der spannende Augenblick. Wie benutzt dieser Ausländer die Stäbchen? Ich komme damit klar, und alle freuen sich. Man rückt sich Stühle heran, und „das halbe Dorf“ beobachtet mich beim Essen.
Schwierigkeiten mit den Stäbchen gibt es bei bestimmten Speisen, wenn man westliche Tischsitten beibehalten möchte. Die Einheimischen hängen einfach mit dem Gesicht über der Essschüssel und schieben mit geräuschvollem Schlürfen die Nahrung über den Rand der Schale in den Mund.

Nirgendwo auf der bisherigen Reise wurde ich so oft eingeladen, wie hier in Tibet. So komme ich einige Male in den Genuss bekannter tibetischen Grundnahrungsmittel – Tee mit Yakbutter und Tsampa (geröstetes Mehl, meist Gerste), was mit der Hand zu einem Teig geknetet wird. Kein kulinarischer Höhenflug, aber gut genießbar. Vom Yakbutter-Tee hört man viel Grausames, aber er ist weit weg von gesalzenem Tee, vielleicht etwas mit ungesalzenem, nicht mehligem Nudelkochwasser zu vergleichen. Ich werde im Restaurant eingeladen, bei Leuten, die am Straßenrand an einem Feuer ihr Mal zubereiten, esse im Nomadenzelt und in typisch tibetischen Häusern.
Die sehen so aus, dass die Familie in einem Koch-Ess-Schlaf-Gemeinschaftsraum lebt, geschmückt mit Holzschnitzereien und sehr bunt bemalt. Entlang der meisten Wandfläche gibt es breite Holzkisten belegt mit Teppichen. Diese dienen als Sitzmöbel und Schlafstätte. Davor stehen Tische, kaum höher, als die Bänke, ebenfalls Kisten. Ansonsten gibt es keine weiteren Möbel, allenfalls Einbauschränke, die Türen wie Tisch und Bänke bunt verziert. Wichtig ist ein großer Ofen beheizt mit getrocknetem Yakkot. Die Yakkot-Fladen werden mit der Hand geformt und liegen dann überall zum trocknen aus.
Ich übernachte meist im Freien, aber auch im Kloster, in einer Schule, im Straßenbauarbeiter-Camp und in Bauernhäusern.
Solche Erlebnisse Beigestern mich völlig, denn so bekomme ich einen Einblick in das Leben der lokalen Bevölkerung, normale Menschen, die mir helfen wollen, einfach freundlich sind, keine Touristen-show, keine erwartete Gegenleistung.

Was vielleicht auch Grund für die vielen Einladungen ist, kann auch anstrengend sein – eine erwartete, asiatische Zurückhaltung fehlt oft. Kaum steige ich vom Rad, sitzt jemand anderes drauf. Ich versuche, den Leuten ihren Spaß zu lassen. Das Problem ist, dass Dinge kaputt gehen. Die Leute klettern unmöglich über’s Rad, weil sie nicht wissen, wie man aufsteigt, Ständer und Gepäckträger, an dem er befestigt ist, machen das nicht ewig mit. Ständig wird alles am Rad angefasst. Ein Phänomen sind identische Verhaltensweisen über eine große Distanz, die gleichen Handgriffe – Sitzpolster zusammendrücken, Bremshebel ziehen, lenken, am Griff drehen. Dieser ist eigentlich fest. Irgendwann hat er einen Riss. Nun erkundet jeder, wie leicht sich dieser Riss vergrößern lässt, ehe ich alles mit Klebeband abdecke. Risse gibt es auch im Vorderreifen. Immer wieder versuchen Leute diese Risse zu erweitern, um mich dabei darauf aufmerksam zu machen.
So kommt das Rad gelegentlich einfach mit in den Supermarkt oder ins Netz-Cafe. An dieser Stelle, wenn man etwas erledigen muss, aber das Rad nicht unbeaufsichtigt stehen lassen möchte, empfinde ich das Alleinreisen als Schwierigkeit.

Ich erreiche die Grenze der Autonomen Region Tibet. Bis zu einer Stadt, wo ich ein Visum für China beantragen kann, ist es noch ein Stück. Derweilen läuft meine Aufenthaltsgenehmigung ab. Ich telefoniere mit der verantwortlichen Behörde, man notiert meine Daten und dass ich etwas später komme. Wer hätte das von einer chinesischen Behörde erwartet? Tage später dort angekommen, ist man jedoch unzufrieden, mit welcher Verzögerung ich eintreffe. So will man mir ein Visum für einige Tage geben. Damit könnte ich gleich zum Flughafen und das Land verlassen. Ich möchte mit dem höchsten Entscheidungsträger sprechen, denn letztlich ist es ein willkürlicher Beschluss. Nach einigem Debattieren, immerhin hört man mich an, gibt es ein Visum für 1 Monat – angeblich die längste Dauer, die in dieser Kleinstadt ausgestellt werden kann. Der Chef vom Amt kommt abermals zu mir und erklärt, dass ich sehr überzeugend war und nur deshalb länger Zeit bekomme. Dass sie vergessen, mein Visum auf den Ablauf des vorhergehenden permits zurück zu datieren, verschafft mir weitere Tage.
Von hier an also 1 Monat Zeit für ein riesiges Land. Zu wenig. Ob ich das Visum verlängern kann ist unklar. Also weiterhin nicht getrödelt, wenn die Radtour nicht mit anderen Verkehrsmitteln fortgesetzt werden soll. Internet-Cafe-Besuche werden nicht übermäßig ausgedehnt, wodurch das blog auf der Strecke bleibt.

Tom

Fotos zu diesem Artikel: Lhasa/Tibet – Kangding/China : Fotos

26. Oktober 2007 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

3 Responses to “Lhasa/Tibet – Kangding/China”

  1. 1 Aron 26 Oktober 2007 @ 6:52

    Huhu Tom!

    Weia, da haste dir ja was aufgehalst :) meine eigenen Erfahrungen mit 5000er-Pässen waren eher unerfreulich und die Vorstellung tagelang bergauf zu radeln würde mich wohl in einem Maße demotivieren, dass ich dich allein um die Willenskraft morgens überhaupt aufzustehen extrem beneide.
    Davon mal abgesehen ‚thumbs up!‘ von meiner Seite, weiter so alter Junge und lass die Zeit zwischen den updates nicht allzu lang werden!

    :D

    PS: Danke für die Geburtstagsmail, werd dir bei Gelegenheit zurückschreiben, nun ruft aber erstmal die Miksosonde :-/

  2. 2 Björn 30 Oktober 2007 @ 0:57

    Hi Tom,

    Alte Saftpresse, 20 derartige Pässe?!! Ich hoffe die Abfahrten waren auf halbwegs guter Straße, so dass zumindest das eine Befriedigung und einen ordentlichen Adrenalinschub gegeben hat. Toller Bericht. Ich bin gespannt auf die Bilder. Bleib gesund. Gesundheit ist der größte Reichtum den ein Mensch besitzt.
    Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass du jetzt in China sein würdest. Ich fand den Kosovo schon verdammt gefährlich.

    Bye Björn

  3. 3 Arne 16 März 2010 @ 21:43

    Saftpresse:). Nicht schlecht Jungs…auf so eine Tour würde ich mich auch freuen

Leave a Reply

  1.  
  2.  
  3.  


deutsch :: english :: español

Rubrik :: category :: categoría

Archiv :: archive :: archivo