Gonder/Äthiopien – Addis Abeba/Äthiopien

„Meidet Äthiopien, wenn ihr könnt.“ Aussagen dieser Art hören wir nicht nur ein Mal. Äthiopien hat sich unter Radfahrern einen schlechten Ruf erarbeitet. Neben anstrengenden Kindern berichtet jeder Radler, dass er mit Steinen beworfen wurde.
Einen alternativen (Land)weg gibt es nicht. Wir werden also sehen, was passiert und wollen dieses Land auch nicht aussparen. Jeder macht seine Erfahrungen, und wir wollen auch unsere eigenen machen. Deshalb sind wir unterwegs.

Auf’s Schlimmste gefasst, haben wir in den ersten Tagen in Äthiopien auf der Piste keine Probleme. Kaum auf der Asphaltstraße, nachdem wir Gonder verlassen haben, passiert genau das oben genannte. Ein Jugendlicher, kein kleines Kind, wirft, während wir uns in einer Abfahrt befinden, einen nicht zu kleinen Stein kraftvoll, gezielt auf Maik und trifft seinen Arm. Maik springt vom Rad, um die Steinewerfer zu stellen, die sich aus dem Staub machen. Später, wieder in einer Abfahrt, setzt ein Junge an, mir einen schweren Stock entgegen zu schleudern. Ich ducke mich weg und komme dabei von der Straße ab, kein Sturz. Wo ich schon stehe, nehme ich die Verfolgung des Jungen auf. Als ich ihn habe, schreit und heult er schon. Ich schüttle ihn noch 2 Mal und nehme ihm seinen Stock ab. Wenigstens ergreifen die herbeigeeilten Erwachsenen keine Partei für den Wicht. Bisher haben wir noch keinen körperlichen Schaden durch diese Aktionen zu beklagen. Der Sachschaden beläuft sich auf eine Beule in meinem Fahrradrahmen.

Es ist uns unerklärlich, wie jemand auf so dumme Ideen kommt. Wir können beobachten, das das Werfen kleiner Kieselsteine oder nur das Bücken, als wenn man einen Stein aufhebt, eine allgemeine Geste ist, um jemanden zu verscheuchen. Man wirft auf das Vieh, die Erwachsenen werfen nach den Kindern, jedoch nur locker vor die Füße. Mit dieser Geste halten uns die Erwachsenen gelegentlich auch zu aufdringliche Kinder vom Leib.
Oft können wir auch einen rauen Umgang miteinander feststellen. Beim Vorbeigehen wird schon mal freundschaftlich ein Hämatom auf den Oberarm geboxt, man tritt sich, in einer Mittagspause haben wir nicht nur eine Straßenschlägerei erlebt.

Die Verkehrssituation sieht so aus, dass es kaum private PKW gibt, wenige Busse und LKW. Im wesentlichen sind Heerscharen von Bauern zu Fuß unterwegs, Rinder, Schafe, Lastenesel, wobei die Bauern ihre Lasten oft selbst schleppen. Eine endlose Fußgängerzone, in der die meisten Fußgänger mit Langen Stäben ausgerüstet sind. Es lässt sich also nicht vermeiden sehr nahe an sehr vielen Menschen vorbeizufahren, stets angespannt, ob jemand seinen Stock in unsere Räder steckt, mit Steinen wirft, die Wasserflasche vom Gepäckträger klaut, was auch gelegentlich vorkam, aber stets zurückerobert wurde. Wir grüßen immer freundlich, um ein positives Klima zu schaffen und wer winkt, kann erst mal keinen Stein aufheben. Dass wir zuerst gegrüßt werden, kommt beinahe nicht vor.

Uns empfängt man immer mit den gleichen Phrasen, das gleiche was uns entgegengebrüllt wird, hunderte Male am Tag, jeden Tag – „You!“, „You, you, you!“, „Where are you go?“, immer der gleiche falsche Satz, und „(Give me) money!“, „(Give me) pen!“. Scharenweise laufen Kinder ausdauernd mit und fordern, man fragt nicht, penetrant Geld.
Die Englischkenntnisse sind damit erschöpft, wobei die wenigsten wissen, was sie mit „Where are you go?“ überhaupt sagen wollen. Sehr erstaunlich, dass sehr viele Leute, sogar im Tourist Office oder Telekommunikationscenter, nicht ein Wort Englisch sprechen, nicht einmal Ziffern. Erstaunlich deshalb, weil Englisch 2. Amtssprache ist und uns ein Lehrer erzählt, dass Lehrbücher und Unterricht ebenfalls englisch sind. Das lässt auf das allgemeine Bildungsniveau schließen, was wir auch immer wieder feststellen können.
Außerdem ruft man immer „Farandsch(i)“, das Wort für Fremde. Das ist so, als würde einem Farbigen bei uns permanent „Neger“ hinterhergerufen.

Die Steinewerferei hält sich letztlich anzahlmäßig in Grenzen, auf Schlimmeres waren wir gefasst. Was uns aber fertig macht, ist, dass man abschnittsweise den Eindruck bekommt, die meisten Einwohner sind so dumm, wie man nur sein kann, belästigen damit andere Menschen und lachen darüber. Warum bewirft man Radfahrer mit Steinen? Warum immer und ueberall das „You, you, you!“, „Farandsch“, „Give me, give me, give me!“, „Where are you go?“. „The question is: ‚Where do you go?‘ or ‚Where are you going?'“, versuchen wir es immerwieder. „Where are you go?“, hört der hinten fahrende.

Maik und ich diskutieren, ob es eine positive Zukunftsaussicht für Äthiopien gibt. Wir sind uns einig, dass Geld nicht das Erste ist, woran es mangelt. Was fehlt ist Sozialkompetenz, respektvoller Umgang miteinander und mit Fremden, einen anderen Menschen als Menschen zu sehen und anzuerkennen. Dann scheint es an Bildung zu mangeln, schon bei Lehrern. Und ein Problem ist die Give-me-Mentalität. „Give me, because I’m poor!“ Es steckt so in den Köpfen, dass man arm ist und einem nur andere da heraushelfen können. Es fehlt ein positives Selbstbild. Folge von Entwicklungshilfe?

Natürlich sind nie alle gleich, auch wenn es bezüglich der genannten Verhaltensweisen einen Konsens durch viele hundert Kilometer Äthiopien gibt. Die Erwachsenen sind in der Regel freundlich und entgegenkommend. Einige nette Begegnungen und Gespräche haben sich ergeben. Auch fühlen wir uns nie bedroht oder unsicher.
Landschaftlich überzeugt das bergige Land. Sicher stimmt uns auch positiv, dass es einiges Grün und Bäume gibt. Ein wenig heimatliches Flair nach viel Wüste.

In Baha Dar am Tanasee lassen wir die Räder im Hotel zurück. Wir wollen einen Busausflug nach Lalibela machen. Dort gibt es um 800 Jahre alte Kirchen, die dadurch entstanden sind, das man Felsmaterial, Basaltlava, entfernt, bis man in einem Loch ein Gebäude hat, einige monolithisch, das Dach ebenerdig. Das zweite 8. Weltwunder auf unserer Reise.

Seit ca. 1 Stunde sitzen wir, wie die anderen, ausnahmslos einheimischen Mitreisenden, im Bus. Der nebenstehende Bus lässt seinen Motor im Stand laufen, um unseren Fahrgastraum mit ausreichend Abgasen zu versorgen. Der Bus ist maximal mit Passagieren und Gepäck gefüllt. Dennoch gelingt es fliegenden Händlern eine Runde durch den Bus zu drehen.
Maik und ich sitzen auf dem Motorblock zwischen Fahrer- und Beifahrersitz quer zur Fahrtrichtung, Maik direkt an der Frontscheibe, den Schaltknüppel im Rücken. Gefährlich kann das aber nicht werden, denn der vordere Bereich des Busses ist mit 10 Maria- und Jesusbildern und 5 christlichen Kreuzen bestens gesichert.
Der Fahrer ist offensichtlich ein frommer Mann, der sich bekreuzigt, wenn’s auf der Straße eng wird, sich unterwegs schnell an einer Kirche segnen lässt und sonst auch wohl erzogen. So nimmt er beim Gähnen beide Hände vom Steuer und vor’s Gesicht. Die Musik wird eingelegt, laut ist natürlich immer gut. Beim Radfahren ist uns schon aufgefallen, dass die Busse mit einem Außenlautsprecher ausgestattet sind. Immer spielt die gleiche Musik, was Bussen einen gewissen Wiedererkennungswert verleiht. Jetzt können wir uns das ganze im Fahrzeug anhören. Eine Mischung aus China-Restaurant-Folklore und peruanischen Panflöten mit Gesang, der sich anhört, als würde Sprache rückwärts abgespielt. Sicher eine Folge der Qualität des Tonbandes, welches wohl mehr Kilometer runter hat, als der nicht eben neue Bus. Zwischendurch lange Predigten vom Tonträger. Bei religiöser Musik, um die es sich offenbar handelt, singt der Fahrer schon mal mit. Es dürfte auch kaum jemanden geben, der die Lieder besser kennt.
Wichtig ist noch die rechte Hand des Fahrers. Ein Mann, der z. Bsp. aus dem langsam fahrenden Busfenster Einkäufe für den Fahrer tätigt oder mal schnell mit einem Schraubenschlüssel zum Vorderrad eilt.
So vergeht der Tag mit eingequetschten Beinen leidend. Man bemüht sich aber sehr um uns, bietet uns an mit anderen Fahrgästen die Plätze zu tauschen, um etwas komfortabler zu sitzen.
Am frühen Abend, 67km vor dem Ziel, in einem kleinen Dorf im Nirgendwo endet die Reise unerwartet. Feierabend. Morgen kommt (wahrscheinlich und wer weiß wann) ein anderer Bus für den Rest der Strecke. Offizieller Grund: der Bus hat kein Licht. Es ist aber nicht so spät, dass man nicht noch das letzte Stück schaffen könnte, glauben wir. Das Ärgerliche ist, dass ein anderes Ziel vereinbart war, keine mehrtägige Fahrt, was einheimische Reisende gleichermaßen überraschend trifft. Wir verbringen die Nacht für kein nennenswertes Geld im Hotel, sofern man die Räume so bezeichnen kann. Am frühen Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir Lalibela.
1,5 Tage für schätzungsweise 300km wegen übelster Piste mit vielen, vielen Höhenmetern. Dank der Vermittlung des Besitzers des Hotels, in dem wir in Lalibela unterkommen, fahren wir zurück mit einem Pickup. Selbst das eine achtstündige Tortur. Zwischenzeitlich hatten wir überlegt, diesen Abschnitt mit dem Rad zu fahren. Wir sind so froh, eine andere Route gewählt zu haben. Hier hätten wir uns tagelang aufgerieben.
Unterhaltungseinlagen bei der Rückfahrt bestehen darin, dass der Wagenschlüssel im rundherum verschlossenen Auto zurückbleibt und wiederum in religiöser Musik. Kaum dass das Wort “Halleluja” in einem Lied auftaucht, geht auch der studierte Anzugträger aus sich heraus, schunkelt und klatscht mit. Religiöse, kitschige Musikvideos, die die Menschen fesseln, sind uns in Äthiopien schon vorher begegnet.

Zurück in Baha Dar fallen am Abend ein paar Tropfen Regen, der erste für uns in diesem Jahr.

Eine Herausforderung besteht noch in der Nilschlucht. Grobe Schotterpiste 20km 1300 Höhenmeter runter und das Ganze auf der anderen Seite wieder hoch. So mancher hat hier sein Rad auf’s Auto geladen. Wir finden, das es sooo schlimm auch nicht war.

Derzeit sind wir in Addis Abeba. Die Stadt unterscheidet sich deutlich vom bisher kennen gelernten Äthiopien. Wir bleiben eine Attraktion, das ist normal, man belästigt uns aber kaum. Eine moderne Stadt inklusive Straßenverkehr und Nachtleben (anders als in Khartum, wo früh die Buergersteige hochgeklappt wurden). Viele Baustellen im sozialistisch geprägten Stadtbild, die Aufschwung versprechen, wobei wir uns haben sagen lassen, dass die Entwicklung insgesamt schleppend verläuft. Viel aufpoliert wird für das bevorstehende Millennium, da es nach dem hiesigen Kalender 1999 ist.

Hier in Addis Abeba wieder längerer Aufenthalt als geplant wegen der Verlängerung des Visums für Äthiopien und der Beschaffung eines Visums für Kenia, dem nächsten Ziel, das wir in vielleicht 1 Woche erreichen.

Gerade hören wir vom Internet in Kenia und später Tansania auch nichts gutes. Bleibt uns trotzdem treu!

Tom

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20. März 2007 - Tom | deutsche Texte | Kommentare :: comments :: comentarios | Inhalt drucken

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